Persönliche Erklärung der Abgeordneten Schahina Gambir, Max Lucks, Jamila Schäfer gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Abstimmung über die Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes EUNAVFOR MED IRINI im Mittelmeer
In unserer parlamentarischen Demokratie sind Abstimmungen über den Einsatz der Bundeswehr mitunter die schwerwiegendsten Entscheidungen, die Abgeordnete immer frei nach ihrem Gewissen treffen müssen. Mit der Abstimmung schicken wir Menschen in Einsätze, die sie mitunter in Lebensgefahr bringen. Die Folgen dieser Entscheidung treffen Menschen, ihre Familien und Freunde und müssen deswegen gut abgewogen und überlegt sein.
Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Libyen im Jahre 2011 leben die Menschen in Libyen in einem Wechsel von kriegerischen Auseinandersetzungen und brüchigen Waffenruhen, immer in der Hoffnung die nächste Ruhepause, der nächste politische Prozess, die neuen politischen Kräfte bringen endlich Ruhe, Demokratie und einen sicheren Frieden.
Um das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegenüber Libyen durchzusetzen, hat die EU 2020 den Einsatz EUNAVFOR MED IRINI ins Leben gerufen, an dem sich die Bundeswehr beteiligt. In den letzten Jahren hat sich die Situation in Libyen zunehmend verschlechtert. Das Land ist in zwei Teile gespalten.
Die im Westen des Landes regierende und von Staaten anerkannte libysche Regierung verlässt sich in der Umsetzung ihrer exekutiven Macht auf Milizen, die in verschiedenen Bereichen staatliche Funktionen ausüben und islamischen Strömungen wie der Muslim-Bruderschaft nahestehen. Auseinandersetzungen mit Waffengewalt zwischen bewaffneten Gruppierungen gehören zur Normalität in vielen libyschen Städten. Auch der Waffenschmuggel nach Libyen geht munter vor sich hin. In Gefechten tauchen türkische Bayraktar Drohnen auf und erst am vorigen Wochenende setzen der Regierung nahestehende Milizen, ukrainische Drohnenmodelle gegenüber Schiffen in zivilen Häfen ein. Auch politisch scheint sich einiges zu drehen: während die türkische Unterstützung zunehmend in den Osten des Landes wandert, hat China in den letzten Wochen eine Botschaft in Tripolis eröffnet.
Menschenrechtsverletzungen der Milizen, die staatliche Funktionen übernehmen sind bestens dokumentiert. Die UN Fact Finding Mission befand, dass in libyschen Haftanstalten für Migrant*innenVerbrechen gegen die Menschlichkeit verübt werden. Die Milizen, teilweise unter aktiver Umgehung des Waffenembargos von EU-Staaten ausgestattet, werden von EU-Ländern, die auch an der Operation IRINI beteiligt sind, ausgebildet. Sie haben seit 2015 in über 60 Fällen mit scharfer Monition auf Flüchtende, Boote in Seenot und auch auf Rettungsschiffe geschossen. Untersuchungen, Strafverfolgung oder andere Konsequenzen lassen seit Jahren auf sich warten. Deswegen ist es falsch, dass die Bundesregierung nun keine Zusammenarbeit mehr mit diesen Straftätern und kriminellen Banden bei deren Ausbildung ausschließt.
Im Osten des Landes herrscht Chalifa Haftar, der mittlerweile eine alternative Regierung eingesetzt hat. Vor allem die seinen Söhnen nahestehende Tareq-Bin-Zayed-Brigade ist durch Menschenrechtsverletzungen bekannt geworden. Trotzdem wird auch der Osten des Landes weiter international unterstützt. Erst vor wenigen Wochen forderte Italien auf einem EU-Gipfel, dass die EU mit Haftar zusammenarbeiten und ihn auch finanziell unterstützen müsse. Malta war nachweislich an mehreren Menschenrechtsverletzungen beteiligt, bei dem Menschen auf der Flucht nach Libyen verschleppt wurden.
Das Waffenembargo gegen Libyen scheint in der Theorie eine gute Idee zu sein, in der Praxis lässt sich die Wirkung kaum beziffern. Gerade einmal drei Fälle sind in den letzten Jahren bekannt geworden, in denen Lieferungen aufgehalten worden sind. Zwei davon betrafen Fahrzeuge und der dritte eine Öllieferung. Ein großes Problem dabei bleibt, dass die Flaggenstaaten der Schiffe einer Betretung des Schiffes zustimmen müssen, was teilweise von NATO-Partnern untersagt wurde.
Auch bekannt geworden sind Fälle, in denen an der Operation beteiligte Staaten aktiv durch Einsatz der Regierungschefs das Waffenembargo umgehen ließen. So wurde 2025 ein aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stammendes Schiff zwar kontrolliert. Obwohl die Lieferung unter das Embargo fiel, ließ man es, wohl auf Anweisung des griechischen Ministerpräsidenten, dennoch in den Osten des Landes weiterfahren. Im Oktober 2025 forderten Italien und der EU-Botschafter in Libyen, dass beschlagnahmte und in Frankreich festgehaltene Waffen nach Libyen gebracht werden sollten. Es scheint fraglich, ob ein Waffenembargo, das von den Anrainerstaaten der gegenüberliegenden Seite des Seeweges offen infrage gestellt wird, effektiv sein kann. Die schiere Anzahl der in Libyen stetig sichtbaren Anzahl an Waffen jeglicher Art und Größe scheint dagegen zu sprechen.
Gleichzeitig ist das zentrale Mittelmeer in den letzten zehn Jahren zur tödlichsten Grenze der Welt geworden. Vor allem die Flucht aus Libyen treibt diese Zahlen in die Höhe. Es ist verwunderlich, wie es sein kann, dass buchstäblich hunderttausende Menschen pro Jahr übers Mittelmeer fliehen, die Operation Irini aber in den letzten zwölf Monaten gerade einmal einen einzigen Fall von Hilfeleistung auf See verzeichnet hat und lediglich in zwei Fällen Boote in Seenot im Operationsgebiet gesehen hat. Unklar ist auch, inwiefern die Operation Irini nicht sogar aktiv an Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist, in dem die Sichtungen an die Rettungsleitstelle in Libyen weitergegeben und damit völkerrechtswidrige Verschleppungen nach Libyen ermöglicht werden. Aus den monatlichen Berichten lässt sich dies nicht aufklären.
Die Operation Irini hatte einmal eine sinnvolle Zielsetzung. In den letzten Jahren haben sich aber an der Operation beteiligte Staaten aktiv daran beteiligt, diese Zielsetzung zu umgehen, um nationale Interessen zu verfolgen. Gleichzeitig scheint die Operation die Bewegung tausender Menschen durch ihr Operationsgebiet nicht einmal mitzubekommen. Auch der Waffenhandel nach Libyen geht munter weiter. Als Abgeordnete bleibt für uns die Frage offen, ob der Einsatz deutscher Soldaten nicht ein Feigenblatt ist, dass viel Geld kostet aber nicht den Menschen in Libyen hilft. Eine mögliche präventive Verhinderung von noch mehr Waffenschmuggel und Menschenhandel lässt sich lediglich vermuten.
Deswegen kommen wir zu dem Schluss, dass wir diesem Mandat nicht zustimmen können. Gleichzeitig teilen wir Ziele bei der Verhinderung von Waffen- und Menschenhandel, die das Mandat anstrebt. Wir werden uns bei dieser Abstimmung enthalten.