Persönliche Erklärung der Abgeordneten Jamila Schäfer nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum Tagesordnungspunkt 1: „Schuldenbremse und Sondervermögen“
Vor nicht einmal einem halben Jahr ist die Ampel-Koalition daran zerbrochen, dass sich Deutschland eine Schuldenregel ins Grundgesetz geschrieben hat, mit der wir den Anforderungen unserer Realität nicht gerecht werden können. Es ist gut, dass nun auch die CDU/CSU-Fraktion die Realität der Situation erkannt hat und erste Schritte unternehmen möchte, um unsere staatliche Handlungsfähigkeit zu stärken. Am Ende sollte eine umfassende Reform der Schuldenbremse stehen, für die ich auch weiterhin politisch kämpfen werde.
Spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Jahr 2014 ist deutlich geworden, dass die sicherheitspolitische Realität Europas eine andere Grundausrichtung braucht. Trotzdem wurde bis zum Jahr 2021 diese Realität von Bundesregierungen ignoriert und eine verantwortungslose und geostrategisch naive Appeasement-Politik betrieben. Investitionen in unsere eigene Sicherheit, Verteidigung und Infrastruktur wurden zum einen nicht als notwendig erachtet und zum anderen durch die ökonomische Unsinnigkeit der Schuldenbremse verhindert. Mit dem Versuch der Vollinvasion der Ukraine durch Russland im Jahr 2022 änderte sich nicht nur das Leben vieler Menschen in der Ukraine, gleichzeitig wurde auch offensichtlich, dass Deutschland seine naive Haltung gegenüber imperialistischer Machtpolitik ablegen muss.
Angesichts des Angriffskriegs Russlands und dem Abwenden der USA von der völkerrechtlich-regelbasierten Weltordnung ist es notwendig, dass wir in Zukunft auch mehr Mittel in unsere Verteidigung investieren. Genauso notwendig ist es, dass wir endlich den jahrzehntelangen Investitionsstau für unsere Infrastruktur beheben und massiv in den Klimaschutz investieren. Für all dies bleibt die beste Antwort eine umfassende Schuldenbremsenreform.
Es ist sehr gut, dass es durch uns in den Verhandlungen gelungen ist den Sicherheitsbegriff zu erweitern, denn auch Cybersicherheit, Bevölkerungsschutz und die Ausstattung unsere Nachrichtendienste sind essenzielle Bestandteile eines sicheren Landes. Auch sehr gut ist es, dass 100 Mrd. Euro des Sondervermögens in den Klima- und Transformationsfonds fließen und das die Verankerung von Klimaneutralität bis 2045 im Sondervermögen Klimaschutzmaßnahmen langfristig stärkt. Am wichtigsten für mich ist aber, dass nun endlich mehr Mittel für die sofortige Unterstützung der Ukraine freigegeben werden, die in den letzten Monaten vom Bundeskanzleramt unter Olaf Scholz blockiert worden sind.
Mich schmerzt, dass es nicht gelungen ist, auch die Mittel für humanitäre Hilfe, zivile Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit von der Schuldenbremse zu lösen. Gerade vor dem Hintergrund der extremer werdenden Effekte der Klimakrise und der sich zuspitzenden Lage in vielen Konfliktregionen auf der Welt ist es notwendig, hier mehr Geld bereitzustellen. Nicht gelungen ist es auch, gleichzeitig notwendige Verbesserungen bei der Steuergerechtigkeit zu erreichen. Die zunehmend ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland ist ein Problem, für das wir dringend die politischen Lösungen ergreifen müssen. Dasselbe gilt für mich beim Thema soziale Gerechtigkeit. Klimaschutzfinanzierung, Verteidigungsausgaben und die soziale Gerechtigkeit unserer Gesellschaft dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wenn die zukünftige Bundesregierung nicht auch die Schuldenbremse grundlegend reformiert und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, besteht weiterhin die Gefahr, dass Verteidigung, Klimaschutz und Investitionen in unsere soziale Gerechtigkeit im Bundeshaushalt miteinander konkurrieren.
Das Verfahren der zukünftigen Bundesregierung, kurz vor Zusammentritt des neuen Bundestages noch mit den alten Mehrheiten im Bundestag diese weitreichenden Entscheidungen zu treffen, halte ich für falsch. Besonders falsch ist es, da keine der Entwicklungen spontan, plötzlich oder unerwartet kam. Russland folgt seit Jahrzehnten einem klaren Pfad imperialistischer Machtausdehnung, auch mit Gewalt. Donald Trump ist seit November gewählt und seine Positionierung zur NATO schon aus seiner ersten Amtszeit bekannt. Unser Sozialstaat, unsere Infrastruktur und der Klimaschutz sind seit Jahrzehnten unterfinanziert. Ein parlamentarisches Verfahren anzusetzen, dass in unter einer Woche Zeit eine solch weitreichende Grundgesetzänderung plant und Sachverständigenanhörungen im Fachausschuss als reine Formalie abhandelt, ohne auf Kritikpunkte einzugehen, ist unserer parlamentarischen Demokratie nicht angemessen.
Als Abgeordnete trage ich die Verantwortung über parteitaktische Überlegungen hinweg und ohne den Blick auf kurzfristige Vorteile Entscheidungen zu treffen, ob unsere Gesellschaft von der mir vorgelegten Entscheidung profitiert oder ob die Nachteile überwiegen. Oftmals liegt nicht die für mich persönlich beste Lösung auf dem Tisch, denn Kompromisse sind integraler Bestandteil unserer Demokratie. So ist es auch in dieser Entscheidung. Die grundlegende Reform der Schuldenbremse im neu gewählten Bundestag wäre die für mich beste Lösung gewesen. Mit den vorgelegten Änderungen gehen wir aber einen Schritt in diese Richtung und ermöglichen gleichzeitig die Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz. Dieses Paket signalisiert in Europa in wichtigen Zeiten, dass Deutschland fiskalisch und außenpolitisch auf der richtigen Seite steht. Darum werde ich zustimmen.