Wie sprechen wir über den Nahostkonflikt?

Der Angriff am 7. Oktober 2023 war der tödlichste Angriff auf Jüdinnen und Juden seit der Shoah – und durch nichts zu rechtfertigen. Israel hat das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. Der jüdische Staat braucht Schutz – für die Sicherheit der eigenen Bevölkerung und als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden vor Antisemitismus weltweit. Denn die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass diese Welt ansonsten kein sicherer Ort für Jüdinnen und Juden ist. Das zeigt auch der alarmierende Anstieg antisemitischer Gewalt hier in Deutschland und weltweit.

Doch der Einsatz für Israels Sicherheit darf nicht die Orientierung am humanitären Völkerrecht außer Kraft setzen.
Seit Anfang März wurden zweieinhalb Monate lang keine Hilfsgüter mehr in den Gazastreifen gelassen. Es fehlt an Lebensmitteln, Wasser und medizinischer Versorgung. Laut aktuellem IPC-Bericht sind etwa 1,94 Millionen Menschen im gesamten Gazastreifen von schwerer akuter Ernährungsunsicherheit betroffen – das sind 93 Prozent der Bevölkerung. Die Blockade der Hilfslieferungen durch die israelische Regierung wird im IPC-Bericht als Kernursache benannt.

Die Weltgemeinschaft hat sich darauf geeinigt, dass es keine politische Instrumentalisierung von Hunger geben darf und der bestmögliche Schutz der Zivilbevölkerung in jedem Konflikt geachtet werden muss.

Die Regierung Netanjahu kündigte nun außerdem an, dass Israel die vollständige Kontrolle über das gesamte Gebiet des Gaza Streifens übernehmen wolle. Damit sind auch die selbst genannten Kriegsziele nicht mehr mit dem Völkerrecht vereinbar.

Nach Artikel 1 der UN-Charta sowie nach dem UN-Zivilpakt und Sozialpakt haben auch die Palästinenser*innen das Recht auf Selbstbestimmung. Deshalb ist eine dauerhafte Kontrolle oder Besatzung des Gazastreifens durch Israel völkerrechtswidrig, wie zuletzt etwa in der G7-Erklärung von Tokio (Nov. 2023) bekräftigt wurde: „Keine Besatzung, keine Vertreibung, keine Gebietsverkleinerung.“

Die Gründung des jüdischen Staates als Schutzraum vor Antisemitismus in der Welt, das Völkerrecht und die universellen Menschenrechte sind untrennbare Lehren aus der Geschichte der Shoah. Wir dürfen niemals zulassen, dass die eine Konsequenz die andere aushebelt.

Antisemitismus muss entschieden bekämpft werden. Die Gleichsetzung jüdischer Identität mit der Politik der aktuellen israelischen Regierung ist gefährlicher Antisemitismus. Es darf keine Relativierung des 7. Oktober geben.

Gleichzeitig ist es auf das Schärfste zu verurteilen, wenn die israelische Regierung das humanitäre Völkerrecht bricht und humanitäre Hilfe behindert. Auch die Bundesregierung muss das humanitäre Völkerrecht achten und dafür sorgen, dass humanitäre Hilfe nicht behindert wird oder mit deutschen Waffen Völkerrechtsverletzungen begangen werden. Darum bin ich der Meinung, dass es Waffenlieferungen aus Deutschland nur dort geben darf, wo eine Nutzung im Einklang mit dem Völkerrecht garantiert ist.

Die Bundesregierung muss gemeinsam mit europäischen und regionalen Partnern einen neuen politischen Prozess für eine Zwei-Staaten-Lösung initiieren. Dabei müssen die Sicherheit Israels, die Selbstbestimmung und die Sicherheit der Palästinenser*innen und die Achtung des Völkerrecht leitend sein. Es gilt die Stimmen zu verstärken, die in Israel und im Gazastreifen sich für eine langfristige friedliche Koexistenz einsetzen. Echte Sicherheit für Israel kann es nur geben, wenn der Konflikt politisch gelöst wird.

Dafür braucht es Stimmen, die sich für Versöhnung einsetzen, nicht für Unversöhnlichkeit. Wer zu dieser Situation schweigt, überlässt das Feld jenen, die radikalisieren. Wir brauchen klare Worte, die zeigen: Der Einsatz gegen Antisemitismus und für universelle Menschenrechte gehört untrennbar zusammen.

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