Autor*innenpapier zur Corona-Krise
Das Corona-Virus ist eine globale Herausforderung, auf die es deshalb nur eine globale Antwort geben kann. Die Corona-Krise und ihre schon jetzt verheerenden Folgen kann kein Staat allein bewältigen. Wenn wir weltweit gegeneinander arbeiten, verlieren wir am Ende alle. Wir können und werden diese Krise nur durch Zusammenarbeit und Dialog bewältigen.
In vielen Ländern steht wie bei uns seit Wochen das öffentliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben still. Drastische Maßnahmen wurden ergriffen, um einen Zusammenbruch der Gesundheitssysteme zu verhindern. Und dennoch blicken wir bangend auf die Infektionskurven, sorgen uns um unsere Angehörigen und Freund*innen. Wie viele Länder hat auch Deutschland ein historisch einmaliges Rettungsprogramm für Wirtschaft und Beschäftigte aufgesetzt, um die ökonomischen und sozialen Folgen abzufedern. Doch nicht alle Staaten sind dazu in der Lage.
Das Corona-Virus trifft alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Hautfarbe. Doch es trifft die Schwächsten mit besonderer Wucht. Das sind insbesondere Menschen, die in Staaten leben, in denen staatliche Institutionen und Gesundheitssysteme geschwächt sind, es keine oder mangelhafte soziale Absicherung gibt und Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen fehlt. Und auch die ökonomischen Folgen und Reaktionen sind sehr ungleich verteilt: Während viele Länder Europas, die USA und auch China in der Lage sind, kurzfristig gigantische Hilfspakete zu schultern, ist die Wahrscheinlichkeit für viele schwächere Staaten deutlich höher, in verheerende Wirtschafts- und Währungskrisen abzustürzen.
Wir brauchen deshalb eine globale und solidarische Antwort auf die Corona-Krise. Deutschland und die EU haben die ökonomischen Möglichkeiten und dadurch auch eine große Verantwortung, jetzt etwas gegen den drohenden Tod von Millionen Menschen, die Zunahme von Menschenrechtsverletzungen, die Einschränkung demokratischer Errungenschaften und massive ökonomische Verwerfungen in ganzen Regionen zu tun.
Solidarität mit den Schwächsten auf der Welt und ein faires und respektvolles Miteinander auf Augenhöhe ist für Europa nicht nur ein Handeln des Herzens, sondern auch ein Gebot der Vernunft. Wenn Europa jetzt nicht handelt, werden andere in die Lücke springen und versuchen ihren geopolitischen Einfluss noch weiter auszudehnen. Populisten und Autokraten weltweit leisten sich einen Überbietungswettbewerb bei Grundrechtseinschränkungen. Sie leugnen die Realität, setzen auf Fake News und „My-country-first“-Alleingänge. Wir können diese Krise aber nur wirksam eindämmen, indem wir globale Solidarität voranstellen, für Bürger- und Menschenrechten einstehen und das auf demokratischen Wegen tun.
Wenn Europa jetzt nicht gemeinsam mit Partnern weltweit handelt, wird die befürchtete globale Wirtschafts- und Finanzkrise noch um ein Vielfaches dramatischer ausfallen, mit verheerenden Folgen für Millionen von Menschen. Und wenn Europa nicht handelt, drohen insbesondere in vielen Ländern des Globalen Südens Konflikte wiederaufzuflammen, staatliche Ordnungen weiter zu zerfallen, Armut massiv anzusteigen, Menschenrechtsaktivist*innen noch mehr unterdrückt zu werden und drohen noch mehr Menschen ihre Heimat zu verlieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass globale Ungleichheiten durch die Krise noch weiter verschärft werden.
Deutschland muss sich deshalb in den Vereinten Nationen, der EU, den G20 und den weiteren internationalen Organisationen für eine starke gemeinsame Antwort auf diese Pandemie einsetzen. Insbesondere die Versprechen der G20 auf dem Papier, über fünf Billionen gegen die Krise zu investieren, müssen mit tatsächlichen Mitteln unterlegt werden. Wir brauchen ein globales Hilfspaket gegen das Corona-Virus und seine Folgen. Die Bundesregierung muss kurzfristig mindestens zwei Milliarden Euro zusätzlich für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitstellen. Sie sollte unbedingt im europäischen Verbund, in der OECD und den Vereinten Nationen für gemeinsame Hilfsanstrengungen werben und strukturschwache Länder, Länder des Globalen Südens, Krisenregionen und Flüchtlingslager schnell und zielgerichtet bei der Pandemiebekämpfung unterstützen. Dazu müssen auch die bestehenden bilateralen und multilateralen Maßnahmen im Gesundheitsbereich in der Entwicklungszusammenarbeit finanziell ausgebaut werden.
Internationale Zusammenarbeit in Krisenzeiten stärken
Ein Staat allein kann und wird diese Pandemie und ihre Folgen nicht besiegen. Das Virus wird immer wieder zurückkehren, wenn es uns nicht gelingt, eine global wirksame Antwort zu finden, um der doppelten Herausforderung aus gesundheitlicher und wirtschaftlicher Krise entgegen zu treten. Es ist gut, dass endlich im Rahmen der Europäischen Union (EU) Sofortmaßnahmen koordiniert werden. Die Bundesregierung muss sich aber in allen internationalen Formaten dafür einsetzen, dass Staaten, die dazu in der Lage sind, nach ihren Möglichkeiten international schnell und effizient helfen.
- Die Vereinten Nationen (VN) sind das einzige Gremium, das internationale Politik mit allen Staaten der Welt koordinieren kann. Sie müssen bei der Pandemiebekämpfung gestärkt werden. Die Bundesregierung sollte sich als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der VN dafür einsetzen, dass eine Corona-Task-Force der VN und ein Corona-Hilfsfonds unter Führung der VN zur Unterstützung von Staaten mit schwachen Gesundheitssystemen eingerichtet werden, wie es auch Norwegen gefordert hat. Der VN- Sicherheitsrat sollte die Pandemie als „Gefahr für die Menschheit und den Weltfrieden“ benennen und so – ähnlich wie bei der Ebola-Epidemie 2014/15 – dem VN-Generalsekretär in seinen Bemühungen den Rücken stärken.
- Die Bundesregierung sollte sich großzügig am Humanitarian Response Plan der VN vom 25. März 2020 beteiligen, der Finanzierung zur Bekämpfung der Pandemie in besonders geschwächten Staaten fordert und dazu unter anderem den Aufbau sanitärer Anlagen und Luftbrücken für humanitäre Güter vorsieht. Die Bundesregierung muss darauf achten, dass die veranschlagten Gelder auch zivilgesellschaftlichen Akteuren zugänglich gemacht werden.
- Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) übernimmt in der Krise eine federführende Rolle und ist als Sonderorganisation der VN die wichtigste Organisation im Bereich der globalen Gesundheit. Deshalb muss sie in ihrer Ausstattung und ihrem Mandat deutlich stärker unterstützt werden. Die Bundesregierung muss ihre zweckungebundenen Beiträge an die WHO substantiell aufstocken und verstetigen. Die G20-Staaten sollten der WHO wegen ihrer zentralen Rolle einen formellen Sitz einräumen wie ihn auch andere Organisationen wie die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds (IWF) bereits besitzen und sie finanziell mehr dabei unterstützen, damit die Bereiche der Berichterstattung, Information und Bereitstellung von Testkits deutlich verstärkt werden.
- Die wichtigsten Industrie und Schwellenländer in der Gruppe der Zwanzig (G20) haben die wirtschaftliche und politische Kraft, auf die Corona-Krise eine politische und ökonomische Antwort zu geben. Sie müssen sich dieser Verantwortung stellen.
- Die Bundesregierung sollte sich in ihrer anstehenden EU- Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, den Handlungsspielraum des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) weiterhin zu vergrößern und verstärken. Ihre Ankündigung hierzu ist ein erster richtiger Schritt. Die Bundesregierung muss sich in der EU auch dafür einsetzen, dass die EU-Beitrittsländer ebenso kontinuierlich und effektiv bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie unterstützt werden.
- Als wichtiges Signal für Physical Distancing sollten internationale Gremien zum einen weiter tagen und zum anderen, wenn irgendwie möglich, nur noch virtuell tagen.Menschen in besonders betroffenen Staaten unterstützen und Weltwirtschaft stabilisierenSeit Ende Januar wurde so viel Kapital aus den Ländern des Globalen Südens abgezogen wie nie zuvor. Während ihre nationalen Währungen massiv an Wert verlieren, bleiben ihre Schulden meist in Dollar bestehen. Über 120 Länder des globalen Südens sind an der Grenze ihrer Schuldentragfähigkeit und viele davon stehen schon jetzt vor Zahlungsunfähigkeit. Die Insolvenzen dieser Länder hätten auch sehr schmerzhafte Auswirkungen auf das westliche Finanzsystem und käme uns in der Konsequenz deutlich teurer zu stehen als jetzt zu handeln.Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen rechnet mit einem Einnahmeverlust von über 220 Milliarden US-Dollar für Staaten, die stark von Armut betroffen sind. Damit könnte die Hälfte aller Arbeitsplätze in Ländern des Globalen Südens aufgrund der Corona-Krise verloren gehen. Viele Staaten sind von anderen Krisen wie den Folgen der Klimakrise, anderen Krankheiten, Konflikten oder Hungerkatastrophen betroffen. Die Bundesregierung muss über die Entwicklungszusammenarbeit zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen und im Rahmen von G20, Weltbank und IWF dazu beitragen, dass Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschafts- und Finanzsysteme gut koordiniert und schnell ergriffen werden.Während wir uns aktuell noch in der Phase des unmittelbaren Krisenmanagements befinden, müssen bei den mittel- bis langfristig wirkenden Rettungsmaßnahmen die Pariser Klimaziele und die globalen Nachhaltigkeitsziele trotz und gerade auch wegen der Corona-Krise weiter als Leitziele gelten. Wir werden als Weltgemeinschaft scheitern, wenn die jetzt geplanten Maßnahmen am Ende zur beschleunigten Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beitragen. Das gilt es zu verhindern.
- Die Bundesregierung muss im Rahmen der bestehenden bilateralen und multilateralen Maßnahmen im Gesundheitsbereich ihre Partnerländer in der Entwicklungszusammenarbeit stärker finanziell, fachlich und wissenschaftlich unterstützen, besonders im Bereich der Basisgesundheitsversorgung und der Stärkung der Gesundheitssysteme. Dazu muss sie auch die bilaterale Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich beibehalten statt sie, wie geplant, abzuschaffen. Soziale Faktoren wir Armut, Bildung, Ernährung und Wohnen müssen dabei berücksichtigt werden.
- Es braucht konkrete und zeitnahe Schuldenerlasse sowie Schuldenumwandlungen und Umwidmungen der Tilgungen fürMaßnahmen im Gesundheitsbereich wie auch im Kampf gegen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Kurzfristig könnte eine massive Aufstockung des Catastrophe Containment and Relief Trust (CCRT) beim IWF hilfreich sein. Darüber hinaus braucht es Beschlüsse auf Ebene der Vereinten Nationen für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren.
- Gesundheit ist ein Menschenrecht: Fortschritte bei der Erkennung und Behandlung der Corona-Infektion sowie bei der Entwicklung von Impfstoffen müssen weltweit allen Ländern zugänglich gemacht und bezahlbar zur Verfügung gestellt werden. Dafür müssen Wissenschaftler*innen, internationale Organisationen, Staaten und die leistungsfähigsten Hersteller im Sinne des Allgemeinwohls zusammenarbeiten sowie im Sinne der Doha- Erklärung von 2001, gerade dahingehend das Menschenrecht auf Gesundheit zu stärken und den Zugang zu Medikamenten durch sogenannte TRIPS- Flexibilitäten fördern. Impfstoffe oder Medikamente gegen das Corona-Virus müssen, sobald sie entwickelt sind, in einem globalen Ansatz und mit großen Produktionskapazitäten so schnell so vielen Menschen wie möglich zugänglich gemacht werden. Patente und Gewinninteressen dürfen dem nicht im Wege stehen.
- Zölle und andere Handelshemmnisse für Medizinprodukte, Arzneimittel und ähnliche Güter, die essenziell sind im Kampf gegen die Corona-Pandemie, sollten nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch auf globaler Ebene aufgehoben werden, um die Beschaffung dieser Güter weltweit und insbesondere auch für ärmere Länder zu erleichtern.
- Bei der Umstellung auf eine Pandemie-Wirtschaft muss die Frage nach Produktion und Beschaffung von notwendigen Gütern nicht nur national und europäisch, sondern auch mit einem Blick auf globale Solidarität beantwortet werden, unter Berücksichtigung der am wenigsten entwickelten Länder, Krisenregionen und Geflüchteten sowie Lieferketten und Beschaffungskonkurrenzen. Es ist sinnvoll und für alle von Vorteil, wenn beispielsweise Textilunternehmen im Globalen Süden dabei unterstützt werden, auf die Produktion von Schutzkleidung und –masken umzustellen, um den regionalen sowie den immensen globalen Bedarf zu decken statt einfach nur bisherige Aufträge in Milliardenhöhe zu stornieren. Zusätzlich sollten internationalen Hilfsorganisationen Kontingente für medizinische Schutzkleidung zur Verfügung gestellt werden, so dass diejenigen, die Nothilfe unter den schwierigsten Bedingungen leisten, nicht der Konkurrenz und dem nationalen Wettlauf am Weltmarkt ausgesetzt sind.
- Wo möglich, sollten Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe und der zivilen Krisenprävention fortgeführt werden, um die Lage nicht zusätzlich durch den Abbruch der Projekte zu verschärfen. Europäisches, nicht nur deutsches Personal, das freiwillig vor Ort bleibt, muss je nach fachlichen Kapazitäten auch zur Bewältigung der Krise eingesetzt und dafür mit der notwendigen Ausrüstung ausgestattet und eng von den deutschen Auslandsvertretungen vor Ort unterstützt werden.
- Die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken sollten zusätzlich weitere Mittel in großem Umfang bereitstellen. Dies könnte zum Beispiel über Kapitalerhöhungen der Entwicklungsbanken erfolgen oder über unkonditionierte „social cash transfers“ für Menschen in den betroffenen Ländern.
- Der Internationale Währungsfonds muss zusätzliche Sonderziehungsrechte ausgeben. Diese stellen eine Art künstliche Währung dar, die dann von den Empfängern gegen harte Devisen eingetauscht werden könnte. Die bereits angekündigte Notfallfinanzierung muss den besonders betroffenen Staaten offen stehen und darf nicht zu Konditionen erfolgen, die eine Sparpolitik erzwingen. Es ist niemandem geholfen, wenn in Folge der Gesundheitssektor geschwächt wird oder die wirtschaftliche und soziale Abwärtsdynamik verschärft wird. Vor diesem Hintergrund sind die Programme des IWF im Rahmen der Ebola-Krise in die Kritik geraten, diese Fehler dürfen nicht wiederholt werden.
- Etwa 70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialsektor weltweit sind Frauen. Sie sind einer erhöhen Gefahr ausgesetzt, sich zu infizieren. Gleichzeitig sind sie von wirtschaftlichen Einbrüchen besonders stark betroffen. Eine feministische internationale Politik muss bei einer Reaktion auf die Corona-Pandemie die besondere Situation von Frauen sowie anderen marginalisierten Gruppen weltweit im Blick haben und sie bei gemeinsamen Antworten gleichberechtigt beteiligen.
- Der Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäranlagen ist eine Voraussetzung, um Gesundheit nachhaltig zu fördern und zu sichern. Dieser Zugang hilft bei der Unterbrechung von Infektionswegen und somit auch, zahlreiche Krankheiten einzudämmen. Die zentrale Bedeutung von Wasser sollte daher in den Maßnahmen eingeplant und in die Hilfsmaßnahmen integriert werden.
Konfliktverstärker Corona bremsen
Das Corona-Virus ist bereits jetzt zum Konfliktbeschleuniger geworden und erzeugt ebenfalls neue Konflikte. Gleichzeitig gehen viele bestehende Krisen und Konflikte weiter, Kriegsverbrecher nutzen sogar die schwindende Aufmerksamkeit und setzen noch stärker auf Gewalt, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen. Es muss verhindert werden, dass die Bedrohung mit dem Virus von Konfliktparteien kriegstaktisch ausgenutzt wird, indem medizinische Versorgung versagt und der Tod durch das Virus billigend in Kauf genommen wird.
- Die Zivilbevölkerung in den Krisenregionen dieser Welt muss weiterhin Unterstützung und humanitäre Hilfe bei steigendem Gesundheitsschutz erhalten, es muss auf die Einhaltung von Bürger- und Menschenrechen gedrängt werden und die Aufmerksamkeit für Kriege und Verbrechen darf nicht weiter schwinden. Die Bundesregierung muss sich gemeinsam mit ihren Partnern intensiv um sofortige weltweite Waffenstillstände bemühen, wie VN-Generalsekretär António Guterres es am 23. März 2020 gefordert hat.
- Die Corona-Krise bietet erhebliches Potential für weitere Destabilisierung und soziale Unruhen. Viele Länder im Globalen Süden sind in hohem Maß von Nahrungsmittelimporten abhängig. Wo Grenzen geschlossen werden, Vertriebene stranden und Lieferketten unterbrochen sind, wo strenge Ausgangssperren eingeführt werden, ein Mangel an Devisen herrscht und der Preis steigt, drohen Hungerrevolten. Deshalb muss solchen Szenarien vor Ort rasch vorausschauend durch internationale Unterstützung entschärfend gegengesteuert werden. Dabei darf das langfristige Ziel der Förderung von Agrarökologie und Ernährungssouveränität nicht aus dem Blick geraten.
- Die Bundesregierung muss darauf hinarbeiten, dass Instrumente der Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und des Konfliktmonitorings durch internationale Missionen so weit wie möglich auch während der Corona-Krise weiter zur Anwendung kommen und ausgebaut werden.
Die Schwächsten nicht vergessen
Durch Krieg, Vertreibung, Armut oder Hunger geschwächte Menschen sind besonders durch das Virus gefährdet – etwa in Syrien, in Südsudan oder in Jemen. Das Leben auf engem Raum, der Mangel an sauberem Wasser und Hygienegüter sowie fehlende soziale Sicherung und mangelnde Gesundheitsversorgung sind in Krisenregionen und in den meisten Ländern des Globalen Südens dramatisch hoch. Das trifft vor allem ältere, kranke und arme Menschen, Frauen und Kinder, Menschen auf der Flucht und andere marginalisierte Gruppen.
- Es braucht einen verlässlichen Zugang zu humanitärer Hilfe weltweit und auch bei abrupten Grenzschließungen muss die Versorgung über humanitäre Korridore ermöglicht werden. In Situationen, in denen bereits vor der Corona- Krise Zugangsschwierigkeiten bestanden, müssen aufgrund der besonderen Bedrohung durch das Corona-Virus humanitäre Zugänge eröffnet werden.
- Der Einsatz gegen das Corona-Virus muss im Rahmen eines „Covid 19- Mainstreaming“ in bestehende humanitäre Hilfe integriert werden, beispielsweise durch Aufbau von Hygienestationen und Vorsichtsmaßnahmen bei der Hilfsgüterverteilung. Dafür und für Corona-spezifische Projekte muss die Bundesregierung auch neue und zusätzliche humanitäre Mittel zur Verfügung stellen. Eine unbürokratische Umwidmung von Geldern muss ermöglicht werden.
- Gleichzeitig dürfen die internationale Gemeinschaft und die deutsche humanitäre Hilfe sowie die Entwicklungszusammenarbeit nicht bei Maßnahmen in bestehenden Gesundheitsprogrammen wie beispielsweise der Bekämpfung von Malaria, Cholera, Masern oder HIV nachlassen. Diese Krankheiten verschwinden nicht in der Corona-Krise, sondern die Probleme verschärfen sich gegenseitig.
- Menschen, die in Flüchtlingslagern leben, sind aufgrund der engen Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, verbunden mit erschwerten oder mangelnden Zugängen zu Informationen, Wasser und Hygiene sowie medizinischer Versorgung, erhöhten Gefahr ausgesetzt, sich mit dem Corona- Virus zu infizieren. Es stellt viele Personen in den Flüchtlingslagern weltweit vor eine aussichtslose Perspektive, dass die Aufnahme aus dem Resettlement Programm des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) ausgesetzt wurden. Die Bundesregierung sollte sich für eine schnellstmögliche Wiederaufnahme der Resettlement-Programme durch den UNHCR und die Internationale Organisation für Migration einsetzen und selbst auch wieder die Aufnahme von Menschen unter Berücksichtigung gesundheitlicher Schutzmaßnahmen ermöglichen. Bereits zugesagte Resettlement-Kontingente, die gegenwärtigen nicht umgesetzt werden können, dürfen nicht verfallen, sondern müssen auf zukünftige Kontingente angerechnet werden. Die Bundesregierung muss sich noch stärker dafür einsetzen, dass endlich Schluss ist mit der extremen Unterfinanzierung der weltweiten Infrastruktur für Geflüchtete.
- Gleichzeitig müssen angesichts der globalen Pandemie und zum Schutz aller Beteiligten alle Abschiebungen temporär ausgesetzt und Menschen aus der Abschiebehaft entlassen werden. Das Grundrecht auf Asyl darf unter Berücksichtigung medizinischer Vorsorgemaßnahmen nicht eingeschränkt oder gar verwehrt werden.
- Überfüllte Lager für Schutzsuchende wie der Hotspot Moria auf der griechische Insel Lesbos, in denen hygienische Umstände katastrophal sind und eine medizinische Versorgung quasi ohnehin nicht vorhanden ist, laufen große Gefahr vom Corona-Virus besonders stark getroffen zu werden. Die Bundesregierung muss sich für eine Evakuierung einsetzen, selbst Aufnahmen, insbesondere das am 8. März 2020 beschlossene Kontingent für schutzbedürftige Geflüchtete, konkret ermöglichen und sich generell für bessere hygienische Bedingungen in Flüchtlingscamps einsetzen
- Fast neun von zehn Kindern weltweit sind von Schulschließungen betroffen, viele haben aktuell keine Möglichkeit, ihren Bildungsweg fortzusetzen. Die Gefahr von Unterernährung und von körperlichem und sexuellem Missbrauch in der Krise steigt insbesondere für Kinder, wie bereits die Ebola-Krise gezeigt hat. Um Kinder weltweit zu schützen, muss die Bundesregierung in den Bereichen Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit und Geschlechtergerechtigkeit einen besonderen Fokus auf ihre Rechte legen.
Menschenrechte und Demokratie schützen
Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Vorsorge dürfen nicht von Regierungen missbraucht werden, um grundlegende Rechte auszuhebeln, wie wir es bereits in Staaten wie China und Ruanda, aber auch innerhalb der EU in Ungarn sehen. Gerade in Zeiten der Krise müssen demokratische Prozesse gestärkt und Desinformationskampagnen effektiv gekontert werden. Insbesondere lokale Demokratie- und Menschenrechtsverteidiger*innen brauchen in diesen Zeiten besondere Unterstützung und Aufmerksamkeit. Gleichzeitig führt die Corona-Pandemie schon jetzt zu einer weltweiten Zunahme rassistischer Übergriffe, insbesondere gegenüber Menschen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wird. Rassismus und Ausgrenzungsmechanismen gilt es immer und überall entgegenzutreten.
- Die Bundesregierung sollte den Aufruf der 24 Sonderberichterstatter*innen der Vereinten Nationen zu menschenrechtskonformen Corona-Maßnahmen unterstützen und eine klare Haltung einnehmen, wenn Regierungen ihre Bevölkerung unverhältnismäßig überwachen oder die Rechte ihrer Bürger*innen für ihren eigenen Machterhalt dauerhaft einschränken. Gerade weil sich politischer und zivilgesellschaftlicher Aktivismus immer mehr ins Digitale verlagert, müssen digitale Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten autoritärer Staaten besonders aufmerksam verfolgt werden.
- Die Bundesregierung muss den Missbrauch der Krise durch den ungarischen Ministerpräsidenten Orban für die Aushebelung von Demokratie und Pressefreiheit klar kritisieren und sich innerhalb und außerhalb Europas in aller Deutlichkeit zu solchen Verstößen äußern.
- Menschen in Gemeinschaftsunterbringungen sind einer erhöhten Infektionsgefahr mit dem Corona-Virus ausgesetzt. Nicht nur deshalb benötigt die Lage politischer Gefangener und willkürlich verhafteter Menschenrechtsverteidiger*innen in Gefängnissen weltweit unsere Aufmerksamkeit. Die Bundesregierung sollte sich gerade jetzt verstärkt für die Freilassung politischer Gefangener und Menschenrechtverteidiger*innen einsetzen.
- Es braucht ein entschiedenes Eintreten gegen Desinformation und Fake News im Kampf gegen die Corona-Pandemie insbesondere in Zusammenarbeit mit der WHO. Auch Unternehmen insbesondere im Bereich soziale Medien müssen ihrer Verantwortung hier gerecht werden.
Nicht zuletzt ist die Pandemie erst beendet, wenn sie in allen Regionen der Welt erfolgreich eingedämmt wurde. Das Virus kennt keine Grenzen, deshalb muss die Bekämpfung ebenfalls global stattfinden. Dort, wo die Staaten die nötigen Mittel für Tests, Medikamente, intensivmedizinischer Betreuung und die Durchbrechung der Infektionsketten haben, müssen wir als internationale Gemeinschaft daher auch gemeinsam zusammenarbeiten.
AutorInnen:
Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Ska Keller, Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA im Europaparlament
Sven Giegold, Sprecher der deutschen Gruppe der grünen Europafraktion
Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Anja Hajduk, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Jamila Schäfer, stellvertretende Bundesvorsitzende, Bündnis90/Die Grünen
Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Ekin Deligöz, Berichterstatterin im Haushaltsausschuss für Auswärtige Politik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Katharina Dröge, Sprecherin für Wirtschaftspolitik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Bettina Hoffmann, Sprecherin für Umweltpolitik und Umweltgesundheit, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Ottmar von Holtz, Berichterstatter für globale Gesundheit, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Kai Gehring, Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Uwe Kekeritz, Sprecher für Entwicklungspolitik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Katja Keul, Sprecherin für Rechtspolitik und Abrüstungspolitik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Tobias Lindner, Sprecher für Sicherheitspolitik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Cem Özdemir, Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Lisa Paus, Sprecherin für Finanzpolitik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin, Bündnis90/Die Grünen
Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Frithjof Schmidt, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Jürgen Trittin, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Gerhard Zickenheiner, Mitglied des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung, Bündnis90/Die Grünen Bundestagsfraktion