Uns allen steckt diese Europawahl am 09. Juni 2024 vermutlich noch in den Knochen. Mir jedenfalls schon. Ich habe zwar damit gerechnet, dass es einen Rechtsruck geben wird. Aber natürlich hat es mich schockiert, dass die AfD trotz der vielen Skandale ihrer Spitzenkandidaten Krah und Bystron noch zweitstärkste Kraft wurde und auch die populistische Partei von Sahra Wagenknecht aus dem Stand so stark geworden ist.
In Frankreich wurde die rechtspopulistische bis rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) mit über 31 Prozent sogar stärkste Kraft und auch in Österreich hat die rechtspopulistische FPÖ die Wahl gewonnen. In Frankreich droht nach der Auflösung des nationalen Parlamentes und anstehenden Neuwahlen nun auch noch ein weiterer Rechtsruck. Diese Entwicklung ist mehr als erschreckend. Lichtblicke gab es in den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden, wo linksgrüne Parteien stark zugelegt haben oder in Polen und der Slowakei, wo Populisten hart abgestraft und proeuropäische Kräfte klar gewonnen haben. Insgesamt gab es leider einen leichten Rechtsruck des Europaparlaments, auch wenn eine demokratische Mehrheitsbildung gegen die Rechtspopulisten und Rechtsradikalen zum Glück weiterhin möglich ist. Wir bemühen uns als Grüne in Brüssel nun um die Bildung einer demokratischen Mehrheit ohne die Europafeinde von rechts.
Was heißt das Wahlergebnis für uns in Deutschland? Man sieht, dass diese Bundesregierung massiv abgestraft wurde. Aber auch die Union als einzige relevante demokratische Oppositionspartei im Bundestag konnte von der Schwäche der Ampel kaum profitieren. Der populistische Kurs der Union in der Opposition zahlt sich also nicht aus.
Die Union hat selbst immer wieder ähnliche Töne angeschlagen wie die AfD, wenn es um Themen wie innere Sicherheit, Migration oder auch Wirtschafts- und Energiepolitik ging. Aber mit einfachen Antworten stärkt man eben die Populisten.
Das musste auch die SPD erfahren, die in den letzten Monaten auch bei Frieden und Migration auf einfache Antworten setzte und gleichzeitig aber nicht genug für soziale Sicherheit in diesem Land sorgen konnte. Dabei kann man Frieden nicht einfach so beschließen und Putin setzt sich auch nicht freiwillig an den Verhandlungstisch. Und auch Flüchtlinge verschwinden nicht einfach, indem man sie immer schlechter behandelt und die Probleme in der Integrationspolitik nicht löst. Und auch andere Probleme, wie zum Beispiel der Mangel an bezahlbaren Wohnraum oder zu niedrigen Löhnen in der Inflation, verschwinden nicht, indem man geflüchtete Menschen oder Bürgergeldempfänger zu Sündenböcken erklärt. Aber die einfachen Antworten sind für manche Leute und damit auch für viele Parteien sehr verlockend. Stärken tun sie am Ende immer die Populisten. Das zeigen auch die Stimmenverluste der SPD an das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Eigentlich weiß man das aus der Politikwissenschaft auch schon sehr lange. Ich finde es sehr frustrierend, dass so viele Leute in den demokratischen Parteien das trotzdem noch immer nicht verstanden haben. Selbst bei uns in der Partei fordern manche Leute gebetsmühlenartig nach jeder Wahlniederlage, dass die Grünen bei Migrationspolitik noch mehr nach rechts rücken und ihre programmatischen Ambitionen insgesamt einfach mehr zurückschrauben müssten. Aber: Es braucht nicht noch eine Partei, die nach rechts rückt oder vor den großen Herausforderungen programmatisch einknickt. Meiner Meinung nach geht es natürlich immer darum pragmatisch zu sein, aber mit geradem Rücken für demokratische Lösungen auf der Höhe der Herausforderungen einzustehen. Wir müssen den Leuten doch erklären, wieso die Populisten mit ihren einfachen Antworten und andere mit ihren ambitionslosen Antworten vieles noch schlimmer machen. Das gilt auch insbesondere für die Klima- und Migrationspolitik und den sozialen Zusammenhalt. Wenn wir das als Demokrat*innen nicht hinreichend und gemeinsam versuchen unsere evidenzbasierten Antworten zu erklären und mit großem Selbstbewusstsein und Mut dafür werben, werden wir die Demokratie nach und nach selber schwächen.
Unser eigenes Grünes Wahlergebnis zeigt: Wir haben als Grüne vor allem das Problem, in der Regierung mittlerweile gleichzeitig als durchsetzungsschwach, handwerklich ungeschickt und ideologisch zu gelten. Darum haben wir ein paar Wähler*innen ins konservative Lager verloren, aber vor allem sehr viele Wähler*innen an progressive Kleinstparteien, die ein ähnliches Programm haben, aber in den letzten Monaten keine schmerzhaften Kompromisse machen mussten und nicht Teil der unbeliebten Ampel sind.
Für mich heißt das: wir müssen natürlich weiter in pragmatischen Schritten und mit Hilfe von Kompromissfindung arbeiten (das ist immer Teil von Regierungsarbeit), aber wir müssen dabei durchsetzungsstärker werden. Das heißt für die nächsten Haushaltsverhandlungen zum Beispiel, dass wir unsere eigene Schmerzgrenze klar im Blick haben und keinen Sparhaushalt zu Lasten des Klimaschutzes oder der sozialen, inneren und äußeren Sicherheit mitmachen.
Allein diese klare Linie könnte dazu führen, dass sich diese Regierung auf einen anderen Arbeitsmodus einstellt, bei dem sich Scholz nicht mehr primär an Lindners Erpressungsversuchen orientiert. Zwar haben wir trotz dieser machtpolitisch für uns sehr schwierigen Situation einiges erreichen können, gerade beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, aber insgesamt hat dieser Modus einen sehr destruktiven Arbeitsmodus hervorgebracht, der nicht nur die Lösungsfindung in der Koalition immer wieder erschwert hat, sondern auch das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie verringert. In dem Modus sollte man aus staatspolitischer Verantwortung für diese Demokratie nicht einfach so weiterarbeiten.
Trotz allem möchte ich mich bei allen bedanken, die bis zuletzt für ein starkes grünes Ergebnis gekämpft haben. In München-Süd haben wir unser Bestes gegeben bei Ständen, Haustürwahlkampf und zahlreichen Veranstaltungen. Wir sind als Grüne in drei der sechs Bezirke noch immer stärkste Kraft, auch wenn wir sehr schmerzliche Verluste einstecken mussten. Es gilt in den nächsten Monaten gemeinsam Vertrauen zurückzugewinnen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir das gemeinsam schaffen können, wenn wir als Grüne in dieser Regierung wieder mutiger sind und damit hoffentlich auch den Arbeitsmodus in der Koalition ändern. Natürlich gilt es in München weiter präsent und ansprechbar für die Anliegen der Menschen in diesen schwierigen Zeiten zu sein. Gemeinsam kriegen wir das hin. Der Blick nach Skandinavien und Polen oder die Slowakei zeigt ja auch, dass man Populisten wieder klein(er)kriegen kann.