Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende Bayern und Jamila Schäfer, stellv. Bundesvorsitzende
Es schmerzt. In Hanau hat am Mittwochabend ein rassistisch motivierter Täter 10 Menschen getötet. Wir denken an Gökhan G., Ferhat Ü., Mercedes K., Sedat G., Hamza K., Kalojan V., Vili Viorel P., Fatih S., Said Nesar H., Frau R. und ihre Angehörigen.
Das Bekennerschreiben des Täters von Hanau zeugt von einem wahnhaften, völkisch-rassistischen Weltbild. Seine rassistischen Vernichtungsphantasien und sein strukturell antisemitisches Verschwörungsdenken sind zweifelsohne pathologisch. Die Tat ist aber kein Werk eines verwirrten Einzeltäters. Denn Bestandteile seines Weltbilds, wie etwa die Einteilung von Menschen in „wertvolle“ und „weniger wertvolle Völker“, die Angst vor einer „Umvolkung“, vor allmächtigen bösartigen Strippenziehern im Hintergrund, Frauenfeindlichkeit, sowie die Überzeugung, dass Gewalt und Kriminalität vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund ausginge, sind in der Gesellschaft weit über organisierte rechtsextreme Kreise verbreitet.
Bestandteile rechtsextremer Ideologie wurden viel zu lange verharmlost
Diese Verharmlosung verringert den Ermittlungsdruck gegen rechtsextreme Akteure und Strukturen. Die Diskursverschiebung nach rechts passiert in unserer Gesellschaft schon eine ganze Weile. Die Normalisierung rechtsradikaler Ideologie geschah zum Beispiel durch die Gleichsetzung von „links und rechts“ und das Wegschauen bei Rassismus und Antisemitismus. Es geschah durch den naiven Umgang mit den Rechtspopulisten, die zu Stammgästen in Talkshows und Leitartikeln wurden und dort durch Grenzüberschreitungen Quoten brachten und im Gegenzug Hass schürten. Viel zu lange schon zeichnet sich ab, dass der demokratischen Konsens zur politischen und rhetorischen Abgrenzung von Rechtsradikalen bröckelt. Das haben wir nicht zuletzt im Landtagswahlkampf in Bayern gesehen. Bei der Ministerpräsidentenwahl Thüringen waren die Landtagsfraktionen von FDP und CDU sogar bereit, die Brandmauer gegenüber den Antidemokraten vollends einzureißen.
Im Klima dieser Normalisierung geschieht die Legitimations des Terrors
Den Angriffen auf die Menschlichkeit folgen die Angriffe auf die Menschen. Aber denjenigen, die sich mit dem Phänomen Rechtsextremismus intensiv beschäftigen und seit Jahren vor den Konsequenzen der Bagatellisierung von Rechtsextremismus warnen, wurde kaum zugehört. Die Bürgerinnen und Bürger, die wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Sexualität oder Religion von völkischen Nationalisten zu Feindbildern gemacht werden, wurden in ihrer Angst nicht ernst genommen, während sich viele Politiker*innen noch vor kurzem darin überschlugen, die „Sorgen“ von Pegida und Co. ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Es reicht jetzt.
Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren. Nach dem Mord an Walter Lübke, dem versuchten antisemitischen Anschlag auf eine Synagoge und dem zweifachen Mord in Halle ist der schreckliche Mehrfachmord in Hanau der dritte rechte Terrorakt innerhalb der letzten 8 Monate, bei dem Menschen zu Tode kamen. Ein geplanter Anschlag auf Betende in Moscheen konnte nach einer Razzia gegen eine rechte Terrorzelle am vergangenen Wochenende von den Sicherheitsbehörden verhindert werden.
Es ist gut, dass so viele Menschen jetzt zu Mahnwachen gehen. Ja, natürlich braucht es Zivilcourage. Das Aufstehen gegen Hass und Hetze im Privaten und im Beruf, online wie offline. Das Solidarisieren mit Menschen, die tagtäglich mit Rassismus konfrontiert sind. Aber der Aufstand der Zivilgesellschaft alleine reicht nicht. Die Regierung muss endlich Taten folgen lassen. Die politischen Werkzeuge für ein konsequentes Vorgehen gegen Rechtsextremismus liegen längst auf dem Tisch. Nutzen wir sie endlich!
Dazu gehört die Repression:
- Die Bekämpfung von Rechtsextremismus und rechtem Terror muss mit zur obersten Priorität der Sicherheitsbehörden gemacht werden. Dafür braucht es die gleiche Effizienz der Sicherheitsbehörden und Ressourcen, wie z.B. bei dem Thema Islamistischer Terrorismus.
- Den Fahndungs- und Ermittlungsdruck auf die rechte Szene erhöhen.
- Die knapp 660 offene Haftbefehle (81 alleine in Bayern) gegen Rechtsextremisten endlich zu vollziehen.
- Rechtsextreme Gefährder konsequent überwachen.
- Neonazi-Organisationen wie der „Dritte Weg“ und rechtsextreme Bürgerwehren zerschlagen und verbieten.
- Rechtsextremisten entwaffnen und die Waffenerlaubnis entziehen, es kann nicht sein, dass z. B. in Bayern noch 191 Rechtsextremisten eine Waffenerlaubnis besitzen!
- Rekrutierungs- und Vorfeldorganisationen in den Blick nehmen, dort v.a. rechte Hooligan und Kampfsportszene, die rechtsextremen Bürgerwehren und die Vorfeldorganisationen der „Neuen Rechten“.
- Internationale Vernetzung analysieren und herausarbeiten, rechtsextreme Strukturen lückenlos aufklären.
- Verschärfung des Waffenrechts.
- Mehr Personal bei Polizei und Justiz.
- Konsequente Erfassung und Verfolgung von Hasskriminalität auch online durch bsp. Einrichtung einer virtuellen Polizeiwache, bei der man online Strafanzeige bei Hass im Netz stellen kann.
- Die AfD endlich vom Verfassungsschutz beobachten.
- Schutzkonzepte für jüdische und muslimische Einrichtungen erarbeiten und bereitstellen.
Repression alleine wird nicht reichen.
Es muss dringend Geld für die Prävention in die Hand genommen werden:
- In Bayern braucht es endlich ein eigenes Landesprogramm zur Stärkung der Zivilgesellschaft, im Bund mehr Geld und Planungssicherheit für zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechts durch ein Demokratieförderungsgesetz.
- Politische Bildungsarbeit intensiveren: Die schulische Demokratiebildung muss in allen Schularten ausgebaut, sowie die außerschulische Demokratiebildung besser ausgestattet werden.
- Medienkompetenz für alle.
- Investitionen in Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit.
- Forschungsprojekte zu Radikalisierungsmechanismen auflegen.
- Mehr Geld für Aussteigerprogramme.
- Programme gegen Frauenhass und toxische Männlichkeit aufsetzen.
- Finanziell gut ausgestattete unabhängige Beratungsstellen im Bereich Opferberatung und Antidiskriminierung.
Außerdem muss innerhalb der Sicherheitsbehörden einiges passieren:
- Die Analyseschwäche bzgl. des Rechtsextremismus muss endlich behoben werden.
- Es braucht eine strukturelle Zäsur und Neustart beim Verfassungsschutz.
- Ein präventives Vorgehen gegen rechtsextreme Bestrebungen in Sicherheitsbehörden.
- Lückenlose Aufarbeitung und Implementation der Lehren aus den NSU-Morden.
Es fehlt nicht an Instrumenten, sondern an politischem Willen, entschieden gegen Rechtsextremismus und Rassismus vorzugehen. Die Ernsthaftigkeit der von der Regierung bekundeten Betroffenheit über Hanau, muss sich endlich auch in ihrem Handeln zeigen. Wir werden nicht locker lassen!