Weltflüchtlingstag: Argumente gegen häufige Vorurteile

„Alle wollen nach Europa“

Das stimmt nicht.
Laut aktueller Zahlen des UNHCR sind von den ca. 82 Millionen Menschen auf der Flucht über die Hälfte sind innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht (Binnenvertriebene). 86% der Geflüchteten kommen in Entwicklungsländern unter und 73% in Nachbarstaaten. Außerdem: niemand verlässt leichtfertig sein zu Hause. Damit die Menschen in den Flüchtlingslagern auf der Welt gut versorgt werden können, braucht es noch mehr Unterstützung für den UNHCR von der Weltgemeinschaft.

“Je mehr Menschen wir retten, desto mehr kommen”

Studien haben den “Pull Effect” wissenschaftlich widerlegt: die Anzahl der Überfahrten sinkt nicht, wenn es weniger Seenotrettung gibt. Es ertrinken einfach nur mehr Menschen.
“Push Effekte”, wie zum Beispiel Folter in lybischen Flüchtlingsgefängnissen sind für Migration viel bedeutsamer.
Und selbst wenn die vielen Toten einen größeren Abschreckungseffekt hätten: würden wir ihn dann nutzen, indem wir Menschen, die vor Bürgerkriegen oder Folter fliehen, lieber ertrinken lassen als zu retten? Wollen wir das europäische Außengrenzen schlimmer sind als Bürgerkriegsländer?
Seenotrettung ist darüberhinaus eine völkerrechtliche Verpflichtung. Je mehr Menschen wir retten, desto mehr sind wir dieser moralischen und völkerrechtlichen Verpflichtung also nachgekommen.

„Das sind doch alles Wirtschaftsflüchtlinge“

Die meisten Geflüchteten kommen aus Bürgerkriegsländern und Kriegsgebieten wie Afghanistan, Syrien, Irak, Eritrea und sind Kriegsflüchtlinge und keine so genannten “Wirtschaftsflüchtlinge”.
Das Recht auf Asyl bekommt man nur bei politischer Verfolgung. Das heißt: nicht jeder hat daher ein Recht auf Asyl. Aber jeder hat ein Recht auf rechtsstaatliches Verfahren. Auch diejenigen, die keinen Schutzstatus bekommen, dürfen nicht misshandelt werden, wie das leider oft an den EU-Außengrenzen passiert.
Darüberhinaus ist es völlig normal, dass Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben oder Job auswandern. Da es bisher noch kein Einwanderungsgesetz gibt, kommt es vor, dass Menschen einen Asylantrag stellen, die nicht politisch verfolgt werden, aber in Europa arbeiten wollen. Diese Anträge würden wesentlich seltener gestellt werden, sobald wir mit einem Einwanderungsgesetz klare Regeln für Arbeitsmigration schaffen.

“Flüchtlinge liegen uns auf der Tasche”

Wie viel darf es uns kosten ein Menschenleben vor Krieg, Terror oder Folter zu schützen? Ja, die Aufnahme und soziale Unterstützung von Schutzsuchenden kostet Geld. Im Bundeshaushalt werden aktuell ca. 22 Milliarden für flüchtlingsbezogene Ausgaben eingeplant. Darin sind Ausgaben enthalten, von denen nicht nur Geflüchtete profitieren, z.B. Ausbau und Investitionen in sozialen Wohnraum, Kinderbetreuungseinrichtungen.
All diese Ausgaben sind um ein Vielfaches kleiner als z.B. Ausgaben für Verteidigung, die bei 92 Milliarden Euro liegen. Von den 165 Milliarden Sozialausgaben im Bundeshaushalt, machen die Ausgaben für Geflüchtete nur einen kleinen Anteil aus.
Außerdem zeigt die Hilfsbereitschaft unserer Gesellschaft gegenüber den hilfsbedürftigen Menschen, wer wir sind. Ein guter Umgang mit den hilfsbedürftigen Menschen, ist eine Investition in ein stabiles demokratisches Zusammenleben, in der Menschenwürde etwas zählt.
Darüber hinaus profitiert unser Land wirtschaftlich von Zuwanderung: Studien zeigen, dass anerkannte Geflüchtete durchschnittlich mehr Geld einzahlen, als der Staat bei ihrer Aufnahme ausgegeben hat. Wir sind durch Fachkräftemangel und demografischen Wandel auf Migration angewiesen.
Daher sind Investitionen in die Aufnahme von Geflüchteten kein verbranntes Geld, sondern schaffen allem voran einen moralischen, aber auch einen volkswirtschaftlichen Mehrwert.

“Die bekommen ja mehr Geld als ich”

Falsch. Asylsuchende erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das ist viel weniger Geld als z.B. HartzIV-Empfänger*innen bekommen. Es wird meist in Form von Sachleistungen oder Gutscheinen ausgezahlt.
Manchmal werden dann Obdachlose als Personengruppe genannt, für die noch weniger getan wird. Dabei schließt es sich überhaupt nicht aus, z.B. für einen Housing First Ansatz einzutreten und Obdachlosenhilfe zu stärken und gleichzeitig Asylsuchende menschenwürdig zu behandeln. Von Investitionen in bezahlbaren Wohnraum und sozialen Angeboten, die Teilhabe stärken, profitieren Bedürftige allgemein – unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft.

“Wir müssen doch unsere Grenzen schützen”

Grenzkontrollen sind in der Tat wichtig, um uns vor Gefahren zu schützen (z.B. Menschenhandel, Waffenschmuggel etc.)
Menschenrechte müssen auch an den Außengrenzen geschützt werden. Irregulärer Grenzübertritt darf nicht bestraft werden, wenn jemand verfolgt wird und um Asyl bittet. Laut Genfer Flüchtlingskonvention darf auch niemand an der Grenze zurückgewiesen werden in ein Land, wo ihm Folter oder erniedrigende Behandlung droht. Darum hat jeder Mensch, der über die Grenze kommt, ein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf eine Prüfung seiner Schutzbedürftigkeit und darf vor der Prüfung nicht zurückgeschickt werden. Grenzschutz im rechtsstaatlichen Sinne heißt also nicht: niemand kommt rein.

“Flüchtlinge sind kriminell”

Terror und Krieg sind nicht die Folge von Flucht, sondern ihre Ursache.
Geflüchtete tauchen ein bisschen öfter in Kriminalstatistiken auf, weil ihre finanziell prekäre Situation Delikte wie Diebstahl wahrscheinlicher macht. Sie begehen aber nicht öfter Diebstähle wie Deutsche in einer vergleichbaren Lebensituation bzgl Alter oder finanzieller Lage.
Zudem gibt es Delikte, die andere nicht begehen können: z.B. Verstoß gegen Meldeauflagen, Kriminalität unter Geflüchteten bei prekären und beengten Lebenssituationen in Sammelunterkünften.
Studien zeigen, dass nicht die ethnische Herkunft, sondern eine sozial prekäre Situation mit Kriminalität korreliert.
Laut polizeilicher Kriminalstatistik ist Deutschland seit 2015 sicherer geworden, weil die Gewaltdelikte insgesamt gesunken sind.

„Härte in der Geflüchtetenpolitik stärkt politische Handlungsfähgikeit“

Leider gibt es nicht wenige, meist konservative Politikerinnen und Politiker, die der Auffassung sind, dass härte gegenüber Geflüchteten zu zeigen politische Handlungsfähigkeit demonstriert und Kontrolle schafft. Sie versuchen, damit weniger Wählerinnen und Wähler an rechtsextreme Parteien zu verlieren. Aber die Erfahrung hat gezeigt: Das Gegenteil ist der Fall.
Wer suggeriert, man müsse sich in der Migrationspolitik zwischen Humanität einerseits und rechtsstaatlicher Kontrolle andererseits entscheiden, stärkt das Narrativ der Rechten.
Rechtsstaatliches Handeln und humanitäre Grundsätze sind aber kein Widerspruch, sondern sie gehören zusammen.
Viel mehr noch: Rechtsstaatlichkeit schafft Humanität. Beides gegeneinander auszuspielen schürt hingegen Misstrauen in die grundlegenden Werte unseres Zusammenlebens und signalisiert: Im Zweifel nehmen wir es eben nicht so genau mit den Menschenrechten. Genau damit verliert demokratische Politik an Glaubwürdigkeit.
Wer selbst das Thema Flucht und Migration immer wieder im Kontext vermeintlich unlösbarer Probleme diskutiert, anstatt endlich die naheliegenden Dinge anzupacken und zum Beispiel das Dublin-System mit einer pragmatischen Lösung zu ersetzen, der erzeugt erst den Eindruck und dann auch tatsächliche Überforderung und tatsächlichen Kontrollverlust und Chaos. Und nichts hat dem Aufstieg der AfD und anderer rechter Kräfte in der Vergangenheit mehr geholfen.

Mehr Informationen dazu, wie pragmatische Grüne Antworten in der Migrationspolitik aussehen, sind in unserem Wahlprogramm, Kapitel 6 zu finden.

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