Rechtsliberale Konsumkritik
Rechtsliberale und Konservative, die früher in jeder moralisierenden Betrachtung von Konsumentscheidungen einen Frontalangriff auf die bürgerlichen Freiheit sahen, haben einen neuen Zeitvertreib für sich entdeckt, der früher vor allem als spaßverderberische Lieblingsbeschäftigung einer radikal-ökologischen Avantgarde galt: das Blaming und Shaming Einzelner für ihre Konsumentscheidungen.
Das zeigt sich an einer Reihe persönlicher Angriffe auf Politikerinnen und Politiker von Bündnis 90/ Die Grünen oder Protagonistinnen der Jugend-Klimabewegung „Fridays for Future“ wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer.
Auf Fernreisen aufgenommene Fotos wurden per Screenshot mit hämischen Kommentaren unterlegt im Internet verbreitet. Das selbsternannte Tribunal aus rechten Twitter-Usern und rechtsliberalen und konservativen Journalisten führte sie als Belege dafür an, dass die Betroffenen zu viele Flug- und Fernreisen auf dem Kerbholz hätten, was ihre klimapolitischen Forderungen und Ziele unglaubwürdig mache. Greta Thunberg, die mehrtätige Zugfahrten auf sich nahm, um zu ihren Auftritten auf der Klimakonferenz in Kattowitz oder zum Weltwirtschaftsforum in Davos klimaneutral anzureisen, wurde ersatzweise dafür angegriffen, ein Toastbrot als Reiseproviant in einer Plastiktüte transportiert zu haben. Katharina Schulze, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, wurde von einem WELT-Journalisten dafür kritisiert, eine Jacke von „Esprit“ zu tragen und sich damit nicht, wie der Autor des Textes, als stolze Trägerin von „Lodenmäntel[n] aus heimischer Produktion, mit Schurwollfutter natürlich und handgenäht in Bayern, Tirol oder Salzburg“ hervorzutun.
Heuchelei-Vorwürfe gegen Klimaschützer*innen gegen ambitionierte Klimapolitik ins Feld zu führen, ist ein klassisches „argumentum ad hominem“, also als ein Scheinargument, das versucht, ein gegnerisches Argument durch Diskreditierung der persönlichen Umstände und Eigenschaften seiner Vertreter*innen anzugreifen, um es nicht argumentativ widerlegen zu müssen.
Interessant ist bei den Angriffen aus den Reihen der Rechtsliberalen und Konservativen auf individuelle Konsumentscheidungen von Klimaaktivistinnen und grünen Politiker*innen aber vor allem, dass jene, die diese Vorwürfe tätigen, selbst zu moralisierenden Richtern über Konsumentscheidungen werden, also genau das tun, was sie den Gegnern als negative Eigenschaften zu attestieren versuchen. Sie lehnen individuellen Verzicht als Weg nicht ab, sondern übernehmen selbst konsumkritische Maßstäbe. Zweck des Ganzen ist natürlich nicht, Klimaschutz oder Umweltschutz voranzubringen, sondern grüne bzw. ökologische Politik zu diskreditieren.
Nietzsche: Verzicht und das schlechte Gewissen
Schon Friedrich Nietzsche begründete in „Zur Genealogie der Moral“ sehr umfangreich, wie sich ein schlechtes Gewissen und ein Ideal der Askese, also die Erhebung des Verzichts zur Tugend, gegenseitig bedingen. Nietzsche argumentiert, dass die Menschen dazu gezwungen sind, einen Sinn in ihrem Sein zu sehen und gleichzeitig durch ihr unvollkommenes Sein ein schlechtes Gewissen haben. Dies bewältigen sie, in dem sie sich selbst geißeln und sich Askese verordnen; sie wollen lieber das Nichts, als nichts zu wollen. Ohne Nietzsche in seiner Ablehnung der Moral an sich zustimmen zu wollen, muss ich ihm zugestehen, den Zusammenhang des asketischen Ideals und der Abwehr grundlegender Schuldgefühle plausibel beschrieben zu haben. Wenn man annimmt, dass Nietzsche recht hat und das Predigen von Askese – zumindest zum Teil – auch dem Wunsch entspringt, von der eigenen Unvollkommenheit abzulenken und sich moralisch über andere zu stellen, bewältigen Konsumkritiker*innen und hämische Rechtsliberale ihre Gewissensbisse auf einer ähnlichen Ebene. Die einen beruhigen ihr schlechtes Gewissen mit Verzicht, die anderen, indem sie mit dem Finger auf andere zeigen. Dabei geht es am Ende nicht nur um Moral und Verzicht. Wir können Klimaschutz nicht auf einen Wettbewerb um ein moralisches Standing verkürzen. Gewissensberuhigung darf politische Verantwortung nicht ersetzen.
Natürlich ist es gut, wenn möglichst viele Menschen darauf achten, klimaneutrale Verkehrsmittel zu wählen und den individuellen Plastikverbrauch reduzieren. Aber wir werden unsere Lebensgrundlagen nicht retten können, indem wir einfach nur an der Bedürfnisstruktur schrauben und individuelle Konsumentscheidungen moralischen Bewertungen unterziehen.
Politik ist kein Wettbewerb um ein moralisches Standing
Dass Klima- und Umweltpolitik häufig auf einer rein moralischen Ebene verhandelt wird, liegt auch an einer häufig eher handlungsunfähig anmutenden Politik, die gegenüber Krisen durch Dieseltricksereien oder Finanzmarktspekulationen auf Kosten der Allgemeinheit machtlos erschien. Doch deshalb auf das Private und Individuelle auszuweichen wäre eine voreilige Kapitulation vor den Herausforderungen. Die Vermüllung der Meere beenden wir nicht, indem wir Menschen dafür ächten, Coffee-to-Go Becher zu benutzen, sondern indem wir verbindliche Recyclingquoten vorgeben, Anreize für weniger Plastiknutzung in der Industrie schaffen und Wegwerfplastik gesetzlich verbieten. Einen CO2-neutralen Verkehrssektor erreichen wir nicht, indem wir Menschen für Flugreisen verurteilen, sondern indem wir in umweltfreundliche Technologien investieren und durch ein Ende der Subventionen für Kerosin die Preisverzerrung zwischen Flugzeug und Bahn beenden. Wenn wir nur auf den persönlichen Konsum achten, verkürzen wir den Blick auf minimale Handlungsspielräume und verlieren den Blick für die grundlegenden Rahmenbedingungen, die momentan dazu führen, dass wir zu Lasten unserer Lebensgrundlagen und künftiger Generationen wirtschaften. Wir dürfen aber nicht verpassen, die Leitplanken für unser Wirtschaften als Gesellschaft, als Politik sozial-ökologisch zu gestalten. Und genau daran wollen wir als Partei arbeiten, gemeinsam mit allen, die uns dabei unterstützen wollen.
Wir wollen dem einzelnen Menschen ein Leben auf einem intakten Planeten ermöglichen, ohne dass sich jeder jeden Tag fragen muss, ob man an der Supermarktkasse ein guter oder böser Konsument gewesen ist. Drum wollen wir Grüne die Verantwortung für eine klima- und umweltfreundliche Politik auch nicht auf den einzelnen Konsumenten und die einzelne Konsumentin abwälzen. Wir begreifen Klima- und Umweltschutz als Aufgabe von Politik. Deshalb wollen wir Grüne auch nicht die besseren Menschen sein, sondern die bessere Politik machen.