von Moritz Heuberger und Jamila Schäfer
Das Ergebnis der Bundestagswahl ist ein herber Rückschlag für progressive Politik. Das rot-rot-grüne Lager hat die seit 1998 bestehende und kaum genutzte Mehrheit verloren. Die AfD wird nun als drittstärkste Fraktion mit ihren 94 Mandaten noch mehr Ressourcen für den Aufbau antidemokratischer Strukturen und völkisch-nationalistischer Netzwerke nutzen. Entscheidend ist, aus diesem Ergebnis die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Falsch ist die Annahme, man könnte der AfD die Unterstützerinnen und Unterstützer abwerben, indem man ihre Positionen bestätigt. Dann beteiligt man sich selbst daran, den politischen Diskurs weiter nach rechts zu schieben und antidemokratische Einstellungen salonfähig zu machen. Bewiesen hat das auch das Ergebnis der CSU, die mit ihren rechten Angriffen auf Merkel vor allem erfolgreiche Wahlkampfhilfe für die AfD leistete.
Kristallisationspunkt einer neu-rechten Revolte
Statt den Thesen der AfD Aufmerksamkeit zu schenken, müssen die demokratischen Parteien die AfD als das markieren, was sie ist: ein Sammelbecken für die Gegner einer pluralistischen Demokratie und Kristallisationspunkt einer neu-rechten Revolte.
Neben der klaren Abgrenzung muss gleichzeitig eine politische Re-Polarisierung zwischen den demokratischen Parteien geschaffen werden. Konflikt ist der Wesenskern der Demokratie.
Anders als in der frühen Bundesrepublik werden Fundamentalwidersprüche und programmatische Unterschiede zwischen Parteien heute weniger kommuniziert. Merkel stellt ihre Entscheidungen als alternativlose Verwaltungsroutine dar. Statt soziale Interessenkonflikte auszutragen, richten die Parteien ihre Ansprache an eine diffuse „Mitte“. Diese Vereinheitlichung wird der sozial immer weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft nicht gerecht.
Der Demokratieforscher Samuel Salzborn meint, dass diese (enttäuschte) Hoffnung auf Harmonie ein zentraler Anknüpfungspunkt für völkische, antidemokratische Einstellungen ist. Die demokratischen Parteien müssen wieder klar kommunizieren, welche sozialen, ökonomischen und politischen Interessen sie vertreten. Für die linken Parteien bedeutet das, sich insbesondere in sozial- und wirtschaftspolitischen Punkten erkennbar von Konservativen und Wirtschaftsliberalen abzugrenzen. Dass vor allem die Rechten von der Verunsicherung durch die Übermacht der Konzerne und dem politischen Kontrollentzug globaler Märkte profitieren, sollte Linke umdenken lassen.
Alternativen zu Sozialabbau und Umweltzerstörung
Gefragt ist eine Politik, die globales Zusammenwachsen und digitale Technologie als Chance begreift, um die Lebensverhältnisse zu verbessern und Gerechtigkeit zu erkämpfen. Dafür müssen die zerstörerischen Auswüchse des Kapitalismus bekämpft werden. Eine Politik der nationalen Egoismen verschärft globale Verteilungsprobleme und hat kaum Möglichkeiten, die Macht internationaler Konzerne zu regulieren. Standards werden durch die mangelnde Kontrolle der Märkte einfach ausgehebelt. Wir brauchen eine moderne linke Politik, die Globalisierung demokratisiert und sich für eine harte Durchsetzung internationaler Umwelt- und Sozialstandards starkmacht. Dafür muss es nicht weniger, sondern mehr internationale Zusammenarbeit geben.
Es gibt immer eine Alternative zu Sozialabbau und Umweltzerstörung. Eine progressive Politik, die sich für ein ökologisches, solidarisches und weltoffenes Zusammenleben einsetzt, muss im Parlament und auf der Straße hörbar sein. Die Ansprache muss aber auf die falsche populistische Zuspitzung („Volk“ vs. „Elite“) verzichten, um nicht den Nährboden für die völkische, antiplurale Ideologie der Antidemokraten zu vergrößern.
Auch wir Grüne sollten diese schwierigen Zeiten nutzen, um positive Veränderungen einzufordern. Das bedeutet, dass wir uns nicht auf ein einziges Politikfeld (Ökologie) verengen lassen dürfen. Wir sind die Partei einer modernen, weltoffenen, sozialen, ökologischen und bürgerrechtsorientierten Politik. Statt sich in detailverliebten Debatten über kleinteilige Konzepte zu verlieren, die kaum jemanden interessieren, müssen wir den Willen zu grundsätzlicher Veränderung kommunizieren.
Das erfordert auch, Interessenkonflikte – etwa zwischen wirtschaftlichen Interessen und ökologischen Zielen – zu benennen und klar Partei zu ergreifen. Dann werden wir vielleicht nicht von allen gemocht, aber auch nicht mehr so oft gefragt, wofür wir eigentlich stehen.
(zuerst erschienen am 4.10.2017 in der Frankfurter Rundschau)