Meine Reise in die Ukraine

Zum zweiten Mal seit Beginn des Krieges bin ich in die Ukraine gereist. Dieses Mal waren meine Kolleg*innen Jessica Rosenthal (SPD), Gyde Jensen (FDP) und Tilman Kuban (CDU) mit dabei und zusammen haben wir einen Tag Kyiv besucht. Für uns als junge Abgeordnete war besonders wichtig, die junge Generation der Ukraine zu treffen. Denn es sind besonders junge Menschen, die an der Front kämpfen und durch den Angriffskrieg ihrer Zukunft beraubt werden. Es ist auch die junge Generation in der Ukraine, die eines Tages Teil der Europäischen Union sein wird und die das Land wieder aufbauen wird.

Nach der 24 stündigen Anreise per Nachtzug wurden wir von einer ukrainischen Abgeordneten abgeholt und wir fuhren in ein kleines Dorf nahe Kyiv namens Kozarovychi. Mehrere Häuser in Kozarovychi wurden von Raketen getroffen und beschädigt. Wird trafen an einer Baustelle, wo eines der beschädigten Häuser wieder aufgebaut wird, die NGO Dobrobat. Es ist eine Organisation mit über 40000 Freiwilligen, die Ehrenamtliche zusammentrommelt, um dabei zu helfen, die Trümmer aufzusammeln und die zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Dabei sieht man: der Wiederaufbau der Ukraine beginnt jetzt. Denn die Menschen wollen sich ihre Zukunft nicht nehmen lassen.

Anschließend ging es für uns weiter in den Nachbarort Butscha. Butscha ist vielen Menschen ein Begriff – vor allem als ein Ort des Schreckens. Während der russischen Besatzung wurden hier schreckliche Kriegsverbrechen begangen: 460 Menschen wurden hier getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Zivilist*innen wurden mitten auf der Straße erschossen und teilweise liegen gelassen, andere wurden in Massengräbern vergraben, damit sie nicht gefunden werden. Darunter auch Kinder. Nach dem Abzug der russischen Besatzung kamen diese Gräueltaten ans Licht. Um die Täter zur Rechenschaft ziehen zu können, werden gerade Beweise für diese Kriegsverbrechen gesammelt. Trotz all des Schreckens sieht Butscha in eine friedliche Zukunft und beginnt den Wiederaufbau.

Am schlimmsten war der Gedanke: all das, was hier nun eine furchtbare Erinnerung ist, findet gerade in den besetzten Gebieten statt.

Beim anschließenden Austausch mit ukrainischen Jugendorganisationen haben wir einen Einblick bekommen, welchen tiefen Einschnitt Krieg in der Arbeit der Jugendorganisationen bedeutet. Viele Mitglieder sind geflohen, kämpfen an der Front oder leisten humanitäre Hilfe. Die Organisationen arbeiten aber weiter. Sie kämpfen alle (von links bis konservativ) für den Eintritt der Ukraine in die EU und einen intensiveren Jugendaustausch mit den EU-Mitgliedsländern. Wir möchten auch über dieses Treffen hinaus Kontakt halten und uns über konkrete Kooperationsmöglichkeiten austauschen.

Nachmittags fand dann ein Austausch in der Mohyla Academy statt, bei dem wir mit Studierenden über deren Alltag während des Krieges gesprochen haben. Einige Studierende sind zur Armee gegangen, andere organisieren Unterstützung, sammeln Spenden, veranstalten Kulturprogramme oder Erste Hilfe Kurse.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal machen muss. Ich bin doch nur ein einfacher Student“, sagte Mak, ein junger Soldat, der bald wieder in den Osten geht, um zu kämpfen. „Die Soldaten stehen jeden Morgen auf um uns zu schützen. Wir stehen jeden Morgen auf um sie zu unterstützen“, sagte eine Studentin während unseres Dialogs.

Sie haben uns erklärt, wie Leben im Krieg irgendwie weitergeht beziehungsweise weitergehen muss. Man geht auch ab und zu noch auf eine Party. Aber die Leichtigkeit geht verloren, da der Alltag vom Kampf ums Überleben geprägt ist. Allein in dieser Gruppe sind schon vier Mitstudierende an der Front gefallen, junge Menschen, die ein Jahr zuvor noch mit den anderen Studierenden zusammen gefeiert und Vorlesungen besucht haben. Mich hat die große gegenseitige Unterstützung sehr berührt und die Worte der Studierenden werden mich noch lange beschäftigen.

Zum Abschluss waren wir noch bei der NGO prytula foundation. Sie sammeln Spenden und Material für die Zivilist*innen und Soldat*innen in den umkämpften Gebieten. Durch die NGO wird dafür gesorgt, dass in den umkämpften Gebieten immer das ankommt, was am dringendsten vor Ort benötigt wird. Wichtig sind beispielsweise Verbandskästen und das notwenige Erste-Hilfe-Wissen, damit sich sowohl Soldat*innen als auch Zivilist*innen im Notfall selbst oder andere verarzten können. Auch hier war es sehr beeindruckend zu sehen, wie gut organisiert die Arbeit von NGOs und Freiwilligen aufgestellt ist. Ohne sie wäre die Armee eher aufgeschmissen.

Nach einem Tag voller intensiven Eindrücken und Gesprächen konnten wir uns wieder auf den Weg in die EU, nach Deutschland, machen. Und da konnte ich auch selbst spüren, wieso die EU so ein Sehnsuchtsort für die Menschen in der Ukraine ist.

Sobald man die polnische Grenze überquert ist man in Sicherheit. In einer EU, in der Interessenskonflikte am Verhandlungstisch gelöst werden und bei allen Schwierigkeiten meist die Kooperation im Vordergrund steht. Dieses Privileg nicht in einem Kriegsgebiet, sondern in Sicherheit in der EU zu leben, war auf der Zugfahrt richtig greifbar.

Kurz nachdem wir zuhause in Deutschland angekommen waren, ging der Raketenalarm auf meiner App wieder los. Das erinnert mich immer daran, welches Glück wir haben, dass Krieg nicht Alltag ist in unserem Leben. Und daran, wovon die Ukrainer*innen träumen: Frieden und ein Teil der EU zu sein. Für diesen Traum bezahlen sie den höchsten Preis: Menschenleben. Es ist unsere Pflicht, uns damit zu beschäftigen. Denn sie sterben auch für das Europa, das uns Sicherheit bietet.

zurück
Weitere Beiträge