Persönliche Erklärung der Abgeordneten Jamila Schäfer nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum Tagesordnungspunkt 15: Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Verbesserung der Rückführung“ (Rückführungsverbesserungsgesetz, 20/9463)
Das vorgeschlagene Gesetz enthält weitreichende Eingriffe in Grundrechte, wie das Recht auf Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Recht auf Privatsphäre. Jede dieser Entscheidungen hat direkte Auswirkungen auf das Leben, die personelle Unverletzlichkeit und die Zukunft von Menschen. Abstimmungen über diese persönlichen Grundrechte gehören zu den Entscheidungen, die unzweifelhaft das Gewissen und die moralische Verantwortung eines jeden Einzelnen betreffen. Den vorliegenden Gesetzesentwurf lehne ich ab.
Kriminalisierung humanitärer Hilfe
Die im Gesetzesentwurf enthaltende Kriminalisierung humanitärer Hilfe ist inakzeptabel. Unter dem Verweis auf die Bekämpfung von Schleusungskriminalität, wird in Zukunft uneigennützige Hilfeleistung für Menschen auf der Flucht in Deutschland strafbar. In der Realität trifft dies vor allem Schutzsuchende selbst, die von Schleusern an das Steuer seeuntüchtiger Boote oder von auf der Flucht genutzten Autos gesetzt werden. Gleichzeitig besteht für alle, die Menschen in solchen Situationen humanitäre Hilfe leisten, die Gefahr dafür bis zu zehn Jahre in Haft zu kommen. Auch für Seenotrettungsorganisationen ist weiterhin eine strafrechtliche Verfolgung nicht ausgeschlossen. Humanitäre Hilfe gehört nicht ins Strafgesetz und die Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht widerspricht unserem im Völkerrecht und im deutschen Grundgesetz festgeschriebenen Auftrag, Schutzsuchende zu schützen.
Ausreisegewahrsam
Gegen die Anhebung der gesetzlich zulässigen Dauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage, gibt es schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strengere Voraussetzungen sieht die Verfassung für seine Verhältnismäßigkeit vor. Aus meiner Sicht wird diesem Maßstab in zu geringem Maße Rechnung getragen. Präventive Freiheitsentziehung darf nur aus besonders gewichtigem Grund, namentlich dem Schutz Anderer oder der Allgemeinheit, angeordnet werden. Zur Begründung wird aber angeführt, dass ein Vorlauf zur Abschiebung von zehn Tagen in der Praxis oftmals zu knapp sei, um die Abschiebung zu organisieren. Der Ausreisegewahrsam wird damit von einer konkreten Sicherungsmaßnahme zu einer präventiven Vorbereitungsmaßnahme. Es kann so jeder ausreisepflichtige Ausländer, der nicht freiwillig ausgereist ist, für bis zu 28 Tage in Ausreisegewahrsam genommen werden. Das erscheint mir als unverhältnismäßige Freiheitseinschränkung.
Verletzungen der Privatsphäre
Auch gegen die Veränderungen an den rechtlichen Möglichkeiten der Wohnungsbetretung liegen verfassungsrechtliche Bedenken vor. Gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur aktuellen Regelung läuft bereits eine Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Trotzdem sieht das vorliegende Gesetz eine Verschärfung vor. Die Unterscheidung zwischen Betreten und Durchsuchen einer Wohnung, erscheint in der Praxis nicht haltbar und wirkt realitätsverleugnend. Ziel dieser Regelung ist es gerade, der Polizei zu ermöglichen, in sämtlichen Räumen innerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft nach einer abzuschiebenden Person zu suchen. Es lässt sich deswegen kaum ernsthaft vertreten, dass es sich hierbei nicht um eine Durchsuchung handelt. Diese gravierenden Eingriffe in die Privatsphäre und die verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte betroffener Menschen erscheinen mir ebenfalls unverhältnismäßig.
Auslesen von Datenträgern zur Identitätsklärung
Die Mobiltelefone und Datenträger von Asylbewerberinnen und Asylbewerber sollen in Zukunft standardmäßig zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausgelesen werden können. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Februar 2023 schon klargestellt, dass es hier auf die Erforderlichkeit im Einzelfall ankommt. Die Behörden dürfen dementsprechend nicht standardmäßig Datenträger auslesen, sondern nur dann, wenn sie die darauf potenziell befindlichen Daten benötigen. Die hier vorgeschlagenen Regelungen stellen erhebliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Gegen dieses standardmäßige behördliche Auslesen von Datenträgern von Ausländern liegen erhebliche verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken vor. Insbesondere stellen auch Erwägungen der Verwaltungspraktikabilität, wie sie der Gesetzentwurf anstellt, keine Grundlage für solch schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte dar.
Kommunen werden nicht entlastet
Das vorgebliche Ziel des Rückführungsverbesserungsgesetz soll es sein, Entlastung in der Migrationspolitik zu erreichen. Doch die dafür nötige Verfahrensbeschleunigung, Verwaltungsdigitalisierung, auskömmliche Ausstattung der Justiz und der Kommunen mit Personal, Wohnraum und finanziellen Handlungsspielräumen, werden in dem hier vorliegenden Gesetzentwurf nicht angegangen. Stattdessen sieht der Gesetzentwurf vor allem zahlreiche Rechtsverschärfungen vor, die die Handlungsfähigkeit in der Migrationspolitik nicht voranbringen, aber erhebliche unverhältnismäßige Grundrechtseinschränkungen für tausende Menschen bedeuten. Die in unserer Verfassung geschützten Grundrechte zu schützen, ist für mich eine zentrale Lehre aus unserer Geschichte. Meine Privilegien als Abgeordnete werde ich auch weiterhin für Menschen auf der Flucht einsetzen. Mit meiner Ablehnung folge ich meinem Gewissen.
Jamila Schäfer
Berlin, den 18. Januar 2024