Die Unruhen in den Geflüchtetenlagern auf den griechischen Inseln nehmen zu. Ende August starb ein 15-Jähriger bei einer Auseinandersetzung im Lager Moria auf Lesbos. Nur eine Woche später wurden bei einem Aufstand Dutzende Menschen verletzt. Der Leiter des Lagers hat mittlerweile angesichts der unhaltbaren Zustände gekündigt. Sollte die Blockade in der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik andauern, wird sich die Lage in dem Lager wohl weiter verschlechtern.
Obwohl Griechenland der mit Abstand frequentierteste Ankunftsort für Geflüchtete in Europa ist, wird das Elend dort medial wenig beachtet. Allein in diesem Jahr sind mehr als 30 000 Menschen nach Griechenland geflüchtet, das sind sechs Mal so viele wie nach Italien.
Die Mittelmeerroute wird immer gefährlicher
Da die Mittelmeerroute zwischen Libyen und Italien zuletzt immer gefährlicher geworden ist, flüchten mehr Menschen über die Ägäis nach Griechenland. Aber auch die zunehmenden willkürlichen Verhaftungen und Repressionen gegen Geflüchtete in der Türkei treiben die Menschen vermehrt nach Griechenland.
Refugee Rescue, aber auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex und die griechische Küstenwache versuchen, die Zahl der Todesfälle in den griechischen Gewässern gering zu halten. Dies sollte in einem demokratischen Rechtsstaat eigentlich selbstverständlich sein. Doch das ist es in Zeiten der Kriminalisierung von Seenotrettung leider nicht mehr.
Ende Juli reiste ich nach Lesbos. Das Prozedere für die Geflüchteten vor Ort ist immer das gleiche: Nach ihrer Ankunft werden sie in den Camps registriert und untergebracht. Wir haben bei der Reise mehrere solcher Camps besichtigt. Im derzeit größten Camp Moria sind über 10 000 Menschen untergebracht. Ausgelegt ist das Lager nur für 3000.
Hunderte Geflüchtete leben im Olivenhain
Die meisten der in Moria Lebenden sind Kinder. Das Lager ist alles andere als ein kinderfreundlicher Ort. Schon der Anblick ist sehr bedrückend. Umringt von hohen Mauern und umzäunt von Gittern und Stacheldraht erinnert Moria an ein Gefängnis. Läuft man durch das Camp, vorbei an den Zelten und Dixi-Klos, vergisst man schnell, auf einer der beliebtesten europäischen Urlaubsinseln zu sein. In jedem dieser Zelte und Container sind mehrere Familien untergebracht, mit weniger als einem Quadratmeter Platz pro Person.
Neben dem offiziellen Camp leben Hunderte Menschen in einem Olivenhain. Sie gehören zu denjenigen, die keinen Platz im offiziellen Teil bekommen haben. Es gibt für sie keine Beleuchtung, kein fließendes Wasser, keine Heizung, keinen Strom. Wir liefen zwischen den Trampelpfaden an den Zelten vorbei. Eine Frau wusch ihr Kind mit Wasser aus einer wieder befüllten Plastikflasche. Wie sieht es hier wohl im Winter aus?
Die Zustände in Moria und anderen überfüllten Camps auf den griechischen Inseln stehen symbolisch für das Scheitern einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik. Seit dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals im Jahr 2016 sind die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln Hotspots, in denen Geflüchtete während des gesamten Zeitraums der Zulässigkeitsüberprüfung ihres Asylantrags untergebracht sind. In der Praxis bedeutet das: überfüllte Lager mit katastrophalen Bedingungen, in denen die Menschen monate-, wenn nicht jahrelang feststecken.
Maßnahmen gegen menschenunwürdige Zustände
Die Situation ist auch deshalb so schlecht, weil sich die EU-Staaten bis heute nicht über einen verbindlichen Verteilmechanismus geeinigt haben. Dabei gäbe es auch andere Wege, um die schwierige Situation vor Ort zu lindern.
Ein Verteilmechanismus ist auch nur zwischen einigen EU-Staaten denkbar, nämlich jenen, die auch ohne EU-weiten Konsens bereit sind, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und Griechenland genauso wie den anderen Ankunftsländern zu helfen.
Mit einem EU-Integrationsfonds könnten darüber hinaus aufnahmewillige Kommunen mit Direktzahlungen gefördert werden, so dass die zusätzlichen Gelder im kommunalen Haushalt Geflüchteten und „Einheimischen“ gleichermaßen zugutekämen. So könnte die EU die Kommunen dabei unterstützen, eigenverantwortlich zu helfen.
Wenn es der deutschen Bundesregierung mit ihrer konstruktive Rolle in der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik ernst wäre, würde sie außerdem die Abschiebungen nach dem Dublin-Verfahren in die südeuropäischen Länder beenden und die Verschärfungen der Nachzugsregelungen für Familienangehörige zurücknehmen, die derzeit vor allem Frauen und Kinder auf die Boote zwingen.
Das wären wirksame Maßnahmen gegen die furchtbaren Zustände in den Camps und gleichzeitig ein echter Beitrag, um den gefährdeten Zusammenhalt in Europa zu verteidigen.
(zuerst erschienen in der Frankfurter Rundschau am 18. September 2019)